Auszug aus der Festschrift zur Orgeleinweihung am 23.Mai 2008
von dem Orgelbauer Harm Kirschner (www.orgelbau-kirschner.de)
Wer hätte gedacht, dass sich nach der Begegnung mit dem Kantor Marc Waskowiak in Stiepel ein solch großes Projekt für unsere Werkstatt anbahnte. Auf Norderney wurde durch die fleißige Mithilfe ehrenamtlicher Gemeindemitglieder, Gäste und Orgelbegeisterter ein wesentlicher Beitrag zur Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit geleistet. An dieser Stelle möchte ich nicht nur allen Geldspendern danken, sondern auch jenen, die mit Wort und Tat die gute Sache vorangetrieben haben.
Zum Instrument selber werde ich hier einige Anmerkungen anbringen, weshalb und wie wir diese Orgel gebaut haben:
Beim ersten Besuch auf der Insel, als es darum ging Fragen über die vorhandene Orgel zu beantworten, fiel mir gleich die eigenwillige Architektur der Inselhäuser auf. Schaut man im Lexikon unter Bäderarchitektur nach, so findet man die Beschreibungen: „filigrane Holzkonstruktion mit Kern aus Stein“. Darunter kann man sich natürlich alles Mögliche vorstellen. Diese Beschreibung spiegelt aber das Empfinden der Inselarchitektur um 1900 ganz gut wieder. Die Inselkirche selber, auch ein neogotischer Raum, zeigt durch ihren hellen Raum und Balkenkonstruktionen mit hölzernen Dachstuhlornamenten diese „Bäderarchitektur“. In diesem Raum stand ursprünglich eine Orgel, die gut angepasst war: Eine geschlossene Unterkonstruktion mit darauf gesetzten Holzpfeilern, die zwischen Ornamenten enden. Diese Betrachtungen führten schließlich zu Orgelentwürfen, die die Prospekteinteilung der Dinse Orgel übernommen haben.
Schon nach dem ersten Gespräch mit Marc Waskowiak, dem Kirchenmusiker, wurde klar, wie hoch der Anspruch der Norderneyer an die neue Orgel ist. Es sollte ein Instrument gebaut werden, auf dem man Komponisten der Romantik, als auch des Barock wiedergeben kann. Solche Instrumente existieren und werden allgemein als Kompromisslösung abgetan. Die Entscheidung, bestehende Instrumente eines Orgelbauers als Vorlage zu verwenden, der seine Orgeln in der Klassizistischen Zeit baute, bietet meiner Meinung nach eine solide Grundlage für ein Instrument, das solche Ansprüche erfüllen kann. Wir haben Orgeln, die romantische Züge haben, aber die barocke Bauweisen nicht verleugnen, gemeinsam mit dem zuständigen Orgelrevisor Reinhard Ruge besucht. Herr Ruge betreute dieses Projekt als Berater und erfahrener Organologe. Unsere gemeinsamen Orgelfahrten führten uns nach Gronau (1836), Buxtehude (1859), Lamspringe und Markoldendorf (1869). Die Instrumente wurden alle erbaut von dem Orgelbauer Philipp Furtwängler aus Elze bei Hannover. Die Orgeln aus dieser Werkstatt in dieser Zeit zeichnen sich durch Robustheit, gute Funktion, ausgezeichnete Disposition und letztendlich den besonders guten Klang aus.
Da ich das Vergnügen hatte eine dieser Orgeln zu restaurieren, konnte ich mich in das Denken und Schaffen dieses Orgelbauers einfühlen. Zudem kam ich während meiner Lehrzeit oft in den Genuss, andere Instrumente dieses Orgelbauers zu sehen und an ihnen zu arbeiten.
Später wurden noch weitere Orgeln besucht: Furtwänglerorgel im Verdener Dom und Winzerorgel in Schönberg (bei Lübeck). Nicht nur die Disposition, sondern auch Mensuren von Furtwängler benutzte ich als Vorbild für den Neubau auf Norderney.
Bei diesen alten Orgeln ist der große Anteil an Holzpfeifen gegenüber einer Barockorgel auffällig. Nur durch Holzpfeifen kann man den speziellen romantischen Klang der tiefen Register erreichen.
Eine klangliche Besonderheit ist neben der Clarinette 8´ beispielsweise der Doppelprincipal (in den 4 kleinen Flachfeldern der Front und den beiden darüber liegenden Feldern sichtbar). Diese Spezialität gibt dem schönen Principalklang viel räumliche Weite. Durch das Verwenden von Zinn für die Pfeifen der Streicher und deren Expressionen erreicht man das dazugehörige helle Klingen der Teiltöne, die bei Barockorgeln durch kleine Bleipfeifen in einer besonderen Art erreicht werden. Auch in dieser Orgel verwenden wir bleihaltige Orgellegierungen für den Principalchor: Octaven und Mixtur. Auch die Quinten und Gedeckten sind aus diesem bleihaltigen Metall, das Arp Schnitger gerne für alle Principale verwendete. Schnitger verwendete sogar reines Blei für die gedeckten Flöten, Posaunen- und Trompetenbecher. Die Trompete (aus Hochlegiertem Zinn) im Hauptwerk ist in der Norderneyer Orgel eine Kopie der Trompete in Markoldendorf. An diesem Register hört man den französischen früh-romantischen Einfluss, der bei vielen Furtwängler Orgeln hörbar ist. Im Gegen satz zu norddeutschen Barocktrompeten aus der Zeit Arp Schnitgers klingt unsere Trompete etwas lauter und heller, aber trotzdem grundtönig.
Das Schwellwerk beinhaltet vor allen Dingen die oben erwähnten Streicher. Die Harmonia ist ein in der Romantik gerne verwendetes Register, das im extremen Fall ein sphärisches, leises Akkordregister mit Octaven, Terzen und Quinten ist. Ein solches Register finden wir in der Furtwängler Orgel im Verdener Dom (1910). Unsere Harmonia ist eine Kopie aus dem Schwellwerk in Lamspringe. Sie klingt etwas grundtöniger und lauter, da sie die einzige Mischstimme im Schwellwerk ist. Zudem besteht ihre konische Terz aus Bleipfeifen, die diese Mixtur angemessen färben.
Die Clarinette in diesem Werk ist in Anlehnung an die Markoldendorfer Clarinette gebaut worden. Furtwängler hatte dieses Register wahrscheinlich 1867 bei der Pianoforte-Fabrik Schiedmayer in Stuttgart bauen lassen.
Besonderheiten dieser Orgel sind die mechanischen festen Kombinationen, mit denen man Registergruppen durch Betätigung eines Knopfes wählen kann.
Eine weitere Besonderheit ist der um 3 m nach vorne und um einen Meter nach unten gestellte Spieltisch.
Wir finden in dieser Orgel noch jede Menge interessante Details, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann. Es bleibt mir nur noch der Gemeinde und den Urlaubsgästen viel Freude an diesem Instrument zu wünschen. Möge die Orgel viele Jahre ihren Klang erschallen lassen.
Portrait: Harm Dieder Kirschner
Harm Dieder Kirschner begann 1982 seine Orgelbauerische Tätigkeit in Hannover bei der Orgelbaufirma Emil Hammer. Das ist die Nachfolgefirma der Orgelbauwerkstatt Philipp Furtwängler. Nach erfolgreichem Abschluss der Lehre 1986 und Zivildienst wechselte er in die Orgelbauwerkstatt Jürgen Ahrend in Leer-Ostfriesland. 1991 wechselte Kirschner zu Orgelbauer Johannes Rohlfs in Neubulach. Im gleichen Jahr begann er seine 4- jährige Tätigkeit in der Orgelbauwerkstatt Conrad Mühleisen in Leonberg. Während dieser Zeit besuchte Kirschner die Meisterschule in Ludwigsburg, wo er 1994 mit Erfolg abschloss. Im gleichen Jahr kehrte er nach Ostfriesland zurück, wo er für 2 ein halb Jahre bei Orgelbaumeister Jürgen Ahrend als Meister arbeitete. Seit 1997 führt Harm Kirschner eine eigene Orgelbauwerkstatt. Herausragende Orgelneubauprojekte seit seiner Selbstständigkeit waren: Toyota (Gemeinschaftsarbeit mit John Brombaugh, 59 Register) und eine Barockorgel in der Dorfkirche Bochum Stiepel (17 Register). Während dieser Projekte forschte Kirschner in Zusammenarbeit mit Winold van der Putten das Verfahren zum Gießen von Pfeifenmaterial auf Sandtischen. Dazu besuchten beide Orgelbauer die Forschungswerkstatt „GoArt“ in Göteborg. Eben genannte Orgeln verfügen über Pfeifen, die aus auf Sand gegossenem, gehämmertem Blei hergestellt sind. Einige seiner Restaurierungsarbeiten machte Kirschner in Markoldendorf, Elsdorf und Rahde. Sein Ideenreichtum, Sorgfalt, Kreativität und Flexibilität führten schließlich zur Auftragsvergabe.